4. KAPITEL
INSTRUMENTE FÜR PROFIS
Die Chronomat macht den mechanischen Chronographen wieder cool
Ende der 1970er-Jahre standen die Hersteller mechanischer Uhren vor der grössten Herausforderung ihrer Geschichte: der Quarzkrise. Quarz war ungleich präziser und zuverlässiger als mechanische Uhren und dabei auch noch kostengünstig in der Herstellung. Als Präzision also nicht mehr die bestimmende Grösse für die Qualität eines Zeitmessers war, geriet die traditionelle Uhrmacherei in Aufruhr.
Willy Breitlings Gesundheitszustand verschlechterte sich rapide, aber er wollte nicht in den Ruhestand treten, bis er einen Nachfolger gefunden hatte, bei dem er sicher sein konnte, dass er dem Zusammenschluss mit anderen Marken widerstehen würde, um die Krise zu überleben. Schliesslich fand Willy seinen Mann – jemanden, von dem er überzeugt war, dass er die Unabhängigkeit der Marke hochhalten und ihr Erbe bewahren würde.
Ernest Schneider, ein Technik- und Luftfahrtbegeisterter, übernahm Breitling 1979 auf dem Höhepunkt der Quarzkrise. Schneider verstand, dass er der Bewahrer eines einzigartigen Vermächtnisses war. Für den Erfolg der Marke würde er sie auf einen Weg der Spezialisierung führen müssen, den niemand anderes kopieren konnte. Diesen Weg bildeten «Instrumente für Profis», Hochleistungsuhren, die für Funktionalität, Zuverlässigkeit und Beständigkeit selbst unter den härtesten Bedingungen konzipiert waren.
Schneiders Strategie sollte sich auszahlen. Breitling meisterte erfolgreich die Krise und konnte sein 100-jähriges Handwerk 1984 mit der Einführung der berühmtem Chronomat neu beleben, eines revolutionären Zeitmessers, der den Weg zur Rückkehr mechanischer Uhren ebnete.
Die Marke wurde an Ernest Schneider verkauft. Schneider war Elektroniker, der in der Schweizer Armee auf Getriebe spezialisiert war. Zuvor hatte er das Uhrenunternehmen Sicura geführt, das unter seiner Leitung florierte und sich mit verschiedenen technischen Entwicklungen besonders im Bereich von Solarzellen- und Quarzuhren hervortat. Privat war Schneider Luftfahrtbegeisterter, hatte einen Pilotenschein und besass ein eigenes Flugzeug. Als Uhrmacher und Flieger war Ernest Schneider schon lange ein Bewunderer von Breitling. Am 5. April 1979 unterzeichnete er den Vertrag, der ihm die Zügel über die Marke Breitling in die Hände gab.
Für Schneider war Quarz kein Feind. Tatsächlich sah er eine Chance darin. Einerseits bot Quarz genau die Art von Präzision und Zuverlässigkeit, die echte Profis für Zeitmesser verlangten. Andererseits hatte die Krise die Fertigung mechanischer Uhren zu einer Nischenindustrie mit einem wesentlich kleineren Pool an Mitstreitern gemacht. «Instrumente für Profis» wurde zum Leitthema für diese neue Ära bei Breitling. Während andere Marken Quarz wegen des Preises verwendeten, begann Breitling, es als Grundlage zur Entwicklung der präzisesten und zuverlässigsten Uhren auf dem Markt zu nutzen. Gleichzeitig hörte die Marke aber auch nicht auf, mechanische Uhren zu fertigen. Tatsächlich trug Breitling weiter massgeblich zu deren Comeback bei.
Schneider erfuhr, dass eine der weltweit renommiertesten Kunstflugstaffeln, die Frecce Tricolori der italienischen Armee, einen Auftrag für seine offizielle Uhr ausgeschrieben hatte. Das Elite-Flugteam bevorzugte eine analoge Anzeige, die Uhr sollte also mechanisch sein. Schneider sah dieses Projekt als perfekte Chance, um die traditionelle Uhrmacherexpertise von Breitling unter Beweis zu stellen und gleichzeitig die Verbindung der Marke zur Luftfahrt zu zelebrieren.
1983 kreierte Breitling den Chronographen «Frecce Tricolori» für die italienische Flugstaffel. Er verfügte über wichtige Designelemente wie eine Drehlünette mit vier Reitern auf den Viertelstunden und ein Rouleaux-Armband, das später zum festen Bestandteil der Chronomat wurde.
Es war ein kühnes Wagnis, das sich gegen den Quarz-Trend stellte. Die imposante Grösse der Chronomat stand im scharfen Kontrast zu den damals beliebten extra dünnen Quarzuhren. Aber Breitlings Wette zahlte sich aus. Die Uhr wurde rasch zum Erfolg, besonders in Italien (einem Schlüsselmarkt der hohen Uhrmacherkunst) und den USA, und machte den mechanischen Chronographen wieder cool.
SCHON GEWUSST?
Die umkehrbaren Reiter auf der Lünette dienten dazu, das Glas vor Schäden zu schützen, wenn Piloten die Kabinenhaube öffneten.
CHRONOMAT
Die 1984 eingeführte Chronomat behielt die Designelemente bei, die ein Jahr zuvor den Chronographen «Frecce Tricolori» zum treuen Begleiter der italienischen Flugstaffel gemacht hatten. Dazu gehörten die charakteristischen Reiter, ein glattes, stromlinienförmiges Gehäuse und das legendäre Rouleaux-Armband. Die umkehrbaren Reiter auf 15 und 45 Minuten waren perfekt sowohl für Flüge (Count-ups) als auch Regatten (Countdowns) geeignet, und die innere Tachymeterskala machte die Chronomat zum idealen Allzweck-Chronographen. Die Chronomat war auch in einer Version für den Segelsport sowie einer speziell für das Renault F1 Team entwickelten Variante erhältlich. Schon bald wurde auch noch eine zweifarbige Version mit umkehrbaren Reitern, Krone und Drückern in Gold angeboten, die der Chronomat ein luxuriöses Flair verlieh und sie zu einem Symbol für Stil und Leistung machte.
Die Markenphilosophie war es, die mechanische Tradition von Breitling fortzuführen und dabei gleichzeitig Nutzen aus den neuesten elektronischen Fortschritten zu ziehen, um die Benutzererfahrung weiter zu verbessern. Für Letzteres war die Einführung des multifunktionalen Aerospace Chronographen 1985 ein brillantes Beispiel. Das komplett innovative Quarzmodell, ausgestattet mit der neuesten Generation Schweizer Technologie, hatte eine doppelte – analoge und digitale – Anzeige, und das Zifferblatt enthielt zwei LCD-Displays.
Die Aerospace war bekannt für ihr einfaches, logisches Kontrollsystem. Alle ihre Funktionen – Zeitanzeige, Chronograph, Alarm, Countdown, zwei Zeitzonen, Kalender und mehr – liessen sich durch einfaches Drehen, Drücken oder Herausziehen der einzelnen Krone aktivieren. Das machte die Bedienung der Aerospace besonders intuitiv und einfach, kombiniert mit einem schlanken und dezenten Design.
Aerospace
Die Marke lancierte die Old Navitimer, eine Neuinterpretation des Originaldesigns von 1952. Sie war mit einem automatischen Valjoux-Uhrwerk ausgestattet. Aufgrund ihrer traditionsreichen Geschichte und ihres eleganten Designs trug diese Ausführung zum Comeback des mechanischen Chronographen bei.
Ernest Schneider übergab das Geschäft offiziell seinem Sohn und leitete damit die fünfte Führungsgeneration bei Breitling ein. Théodore Schneider war bereits seit mehreren Jahren im Unternehmen tätig und führte ein kleines, im Vergleich zu anderen grossen Uhrenunternehmen jener Zeit nicht besonders hierarchisches Team. Seine Unternehmensstruktur ermöglichte Effizienz, Leistung und schnelle Entscheidungen, was sich in den folgenden Jahren als unerlässlich erweisen sollte.
Die Emergency war die erste Armbanduhr, die mit einem integrierten Notsender ausgestattet war. Ursprünglich war sie 1988 mit einer einzigen Antenne lanciert worden, war aber erst 1995 mit der Einführung eines genialen, patentierten Antenneneinsatzsystems voll ausgereift. Der Mikrosender des Modells, der an die Notsignalfrequenz des internationalen Flugverkehrs angeschlossen war, war mit zwei Antennen ausgestattet und verfügte über eine unabhängige Gangreserve von 48 Stunden. Für die Entwicklung dieser Technologie arbeitete Breitling eng mit Dassault Electronique zusammen, der Fachabteilung des berühmten französischen Flugzeugherstellers.
SCHON GEWUSST?
Die Idee für die Emergency entstand bei einem Gespräch zwischen Ernest Schneider und einem NATO-Offizier, der darüber nachsann, dass Flug- und Schiffsbesatzungen von einem Notsender profitieren würden, der jederzeit wie eine Uhr getragen werden konnte. Kurz darauf machte Schneider sich daran, genau das zu bewerkstelligen.
Breitling beendete das Jahrtausend mit einer Errungenschaft, die 1992 ihren Anfang genommen hatte, als der Schweizer Ballonfahrer Bertrand Piccard mit der Unterstützung der Marke die Chrysler Transatlantic Challenge gewann. Angespornt durch diesen Erfolg nahm Piccard eine der letzten grossen Herausforderungen der Luftfahrt in Angriff: eine Nonstop-Erdumrundung in einem Heissluftballon.
Am 1. März 1999 um 8.05 Uhr GMT hob der Breitling Orbiter 3 Ballon in Château-d’Oex in den Schweizer Alpen ab. An Bord waren Piccard und der Engländer Brian Jones, jeder mit einer Emergency am Handgelenk. Am 20. März 1999 um 9.54 Uhr GMT überquerte der Breitling Orbiter 3 seinen Startmeridian am mauretanischen Himmel. Einmal mehr hatte der Name Breitling Luftfahrtgeschichte geschrieben.
1999 setzte Théodore Schneider dem Unternehmen ein neues Ziel: Alle Uhrwerke sollten als zertifizierte Chronometer ausgewiesen werden.
Zuerst erschien die Idee unrealistisch und utopisch. Zertifizierte Chronometer erforderten extreme Präzision. Marken, die so etwas anboten, taten dies primär als Mehrwert bei Sonderanfertigungen. Alle Uhrwerke von Breitling zertifizieren zu lassen würde bedeuten, den gesamten Prozess neu zu überdenken, von der Komponentenauswahl über alle Montagestufen bis hin zur Endkontrolle.
Dennoch liess sich Schneider nicht von seinem Ziel 100 % zertifizierte Chronometer abbringen. Um absolute Qualität sicherzustellen, beschloss das Unternehmen, die Montage der mechanischen Uhrwerke zu «vertikalisieren» und alles unter einem Dach zu integrieren – bei Breitling.
Erstes Manufakturkaliber
Im Bestreben nach weiterer technologischer Unabhängigkeit lancierte Breitling sein erstes Manufakturkaliber: das Caliber 01, entwickelt von der Breitling Chronométrie
Breitling lancierte mit der überarbeiteten Emergency die weltweit erste Armbanduhr mit integrierter Zweifrequenz-Notfunkbake. Die Uhr wurde sofort von Behörden als Instrument für Ersthelfer genutzt, um weltweit Such- und Rettungseinsätze zu koordinieren.
Die Exospace B55 kombinierte den Charme einer hervorragenden Armbanduhr mit einer Smartphone-Konnektivität. Mit ihrem faszinierenden schwarzen Titangehäuse und Kautschukarmband war sie – ganz der Breitling Tradition entsprechend – eine Funktionsuhr, die in Sachen Stil keine Kompromisse einging. Anpassungen der Uhr wie Zeiteinstellung, Zeitzonen und Alarme konnten über das Smartphone des Besitzers vorgenommen werden. Zwei Digitaldisplays benachrichtigten den Träger über eingehende Anrufe, E-Mails, Textnachrichten und Kalendertermine.
Breitling mag den Inhaber gewechselt haben, aber sein Pioniergeist dauert fort. Die Schneiders führten die Tradition der Innovation fort, die die Gründerfamilie von Breitling gesetzt hatte, und loteten die Grenzen von Design und Technologie auch weiterhin immer wieder neu aus. Von Notfunkbaken bis hin zu Manufakturkalibern war eine Breitling Uhr der Inbegriff von Qualität, Stil und Leistung. Doch die Veränderungen – und Durchbrüche – im Unternehmen sollten damit nicht enden. Schon bald sollte Breitling an eine neue Firma verkauft werden, deren Innovationen sie in eine vernetztere, nachhaltigere Zukunft führen sollten.